Tobias Heiligensetzer trägt Wanderschuhe mit roten Schnürsenkeln. Mit ruhigen Schritten stapft er über die saftig grüne Wiese. Seine Kühe sind gerade im Stall zum Melken. Er setzt eine Eisenstange nach der anderen ins Feld, tritt sie fest und spannt dazwischen einen elektrischen Draht, einen Zaun für die Weidefläche seiner Kühe. Am Anfang musste er die abgesteckte Fläche immer noch genau ausmessen, heute reicht ihm Augenmaß. An diesem Tag hat Heiligensetzer Unterstützung: Seine dreijährige Tochter Mona tappst hinter ihm her. Mit Schwung setzt er sie auf seine Schultern. Sie hält sich an seinen Ohren fest, während sie über die Wiese laufen.
Die Zeit war sehr belastend. Ich habe gemerkt, dass mein System einfach viel zu wenig zum Ökosystem passt.
Tobias Heiligensetzer
Zweimal täglich steckt der 34-Jährige auf seinem Feld eine neue Weidefläche ab. Das ist der zentrale Ansatz seines Konzeptes, dem sogenannten holistischen Weidemanagement. Die Idee: Die Kuh soll beim Grasen auf der Weide die Naturkreisläufe unterstützen. Seine Kühe sind immer nur für einen halben Tag auf einer kleinen abgesteckten Fläche auf dem Feld, ernähren sich fast ausschließlich von Gras und Kräutern. Nach dem Melken kommen sie auf eine andere Fläche. So wird nicht der letzte Halm und nicht das letzte Blatt Klee von den Kühen vom Feld gefuttert. Die Pflanzen bleiben soweit erhalten, dass sie weiter Photosynthese betreiben und damit klimaschädliches CO2 zerlegen können. Die Kuhfladen und das zertrampelte Gras sorgen für eine gute Bodenqualität. Der Boden wiederum speichert den Kohlenstoff. Dazu wird ohne viel Dünger- und Spritzmittel gearbeitet.
Während Heiligensetzer das Feld neu absteckt, werden die Kühe von seinen Eltern gemolken. Sie wohnen nach wie vor auf dem Hof, den Heiligensetzer mit Anfang 20 von seinem Vater Ludwig übernommen hat. In den ersten Jahren stand Tobias Heiligensetzer vor vielen Hürden. Als konventioneller Landwirt damals habe er alles richtig machen wollen, aber am Ende des Monats stimmten die Zahlen nicht. Er musste Futter dazu kaufen, versuchte mit viel unbehandelter Gülle den Boden zu verbessern. Trotzdem waren seine Felder ständig überweidet und übernutzt. “Die Zeit war sehr belastend. Ich habe gemerkt, dass mein System einfach viel zu wenig zum Ökosystem passt”, sagt er. Also stieg er um.
Dabei geholfen hat ihm Christine Bajohr. „Tobi stand im Winter bei uns in der Tür und hat gesagt, so geht es nicht mehr weiter”, erinnert sich Bajohr. Sie wohnt einige Hügel entfernt und ist Initiatorin des Projekts „Kuh pro Klima“. Im Rahmen dieses Projekts wollen der Bio-Hof von Heiligensetzer und sieben weitere Betriebe in Bayern zeigen, dass Kühe Klima-Freunde statt Klima-Feinde sind. „Die Kuh hat ihren schlechten Ruf nicht verdient. Sie kann was gut machen, wenn man sie lässt“, sagt Bajohr.
Die Kuh hat ihren schlechten Ruf nicht verdient.
Christine Bajohr
Durch den Ansatz von „Kuh pro Klima“ wollen Bäuerinnen und Bauern wie Heiligensetzer die natürlichen Ökoprozesse nutzen und dadurch klimafreundlicher produzieren. Noch bis 2023 läuft das Projekt, das von sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern begleitet wird. Dazu hat die Initiative 400.000 Euro an Fördermitteln erhalten. Am Ende soll ein Leitfaden und eine wissenschaftliche Studie entstehen – als Anleitung für andere Landwirtinnen und Landwirte. Mit dem Abbau von Methan beschäftigen sie sich vorerst nicht. Methan ist rund 25-mal so klimaschädlich wie CO2. Die industrielle Tierhaltung ist nach Angaben der UN für rund 15 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.
Unser durchschnittlicher Jahreskonsum von Rindfleisch, Milch und Karotten in Autokilometern
Jeder Deutsche isst durchschnittlich 14 Kilo Rindfleisch pro Jahr. Das ergibt eine Gesamtmenge von 176 kg CO2 pro Kopf. Genauso viel stoßen wir aus, wenn wir 1.255 Kilometer mit dem Auto fahren.
Quellen: BMEL, 2020/ BMEL, 2020 / ifeu, 2020
Die Initiative “Kuh pro Klima” legt aber vielmehr ein Augenmerk auf die Bodenqualität und die Kohlenstoff-Einlagerungen im Boden. Dieser spielt neben Methan eine zentrale Rolle bei der globalen Erderwärmung. Denn der Boden, auf dem konventionelle Landwirtschaft betrieben wird, speichert weniger Kohlenstoff. Hinzu kommt, dass die Landwirtinnen und Landwirte von “Kuh pro Klima” fast keine zusätzlichen Futtermittel benötigen. Auch das ist klimafreundlich, denn weltweit werden mehr als 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für die Futtermittelproduktion genutzt – es sind Flächen, auf denen sonst Lebensmittel wie Obst und Gemüse wachsen könnten.
Drei Sommer liegt Heiligensetzers Umstieg nun zurück. Gerade im ersten Jahr habe er “gute Nerven” gebraucht, denn die Milchleistung wurde weniger. “Ich habe an das Konzept geglaubt. Das zahlt sich nun aus”, sagt er. Das Geld für Pestizide, Dünger und Futtermittel spart er sich. Unter dem Strich hat er heute viel mehr Heu als früher. Insgesamt komme er auf rund 30 Prozent mehr Gewinn. Die Kühe seien gesünder und werden älter. Seine älteste Kuh ist 14 Jahre alt. Außerdem bleibt für Heiligensetzer sogar noch mehr Zeit für die Familie, zu der seit fünf Wochen auch Sohn Silas gehört.
Mit seiner nachhaltigen Weidemethode ist Heiligensetzer ein Vorreiter in der Bio-Branche. Dazu gehören in Deutschland laut dem Umweltbundesamt knapp 10 Prozent aller Betriebe. Bis 2030 soll laut der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung der Anteil der Bio-Höfe auf mindestens 20 Prozent steigen. Vielen Landwirtinnen und Landwirten hätten das Potenzial regenerativer Landwirtschaft noch nicht erkannt, sagt Heiligensetzer. Viele konventionelle Betriebe hingen an der Tradition. Die hätten das schon über Generationen so gemacht, sagt er. Warum stellen nicht mehr Betriebe auf klimafreundliche Landwirtschaft um? Der bayerische Bauernverband weicht dieser Frage aus. Man solle die konventionelle Landwirtschaft nicht generell verteufeln, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Nähere Angaben machen sie nicht.
Ein Tag im Leben einer Kuh auf dem Weide-Hof
Immer abends schlüpft Heiligensetzer noch mal in seine Arbeitsmontur. Die roten Schnürsenkel werden noch einmal festgezurrt. Es geht zurück auf die Kuh-Weide. Für die Kühe geht es zum zweiten Mal am Tag zum Melken. “Wie schaut’s aus? Kommat!”, fragt der Landwirt seine Lieblings-Kuh Urmel. Gemächlich macht sie sich auf den Weg Richtung Melk-Stall. Die warme Abendsonne scheint auf den grasgrünen Hang. Heiligensetzer sucht die Leitkuh Uschi. “Wenn die losläuft, dann geht’s rund.” Nach zehn Minuten ist auch die letzte Kuh vom Feld. Jetzt ist die Wiese frei und Heiligensetzer markiert die neue Parzelle für die Nacht. Das neue Weidesystem überzeugt ihn. Er will dabei bleiben, egal, was die Studien von “ Kuh pro Klima ” am Ende zeigen. “Ich sehe ja, dass es funktioniert.”
Klimafreundlich ernähren – so geht’s! Drei Tipps
- Regional kaufen.
Am besten direkt beim Bauern in der Nähe. Das ist gut für die Umwelt, weil lange Transportwege gar nicht erst anfallen und der Umsatz bleibt vor allem beim Bauern. Auch im Supermarkt kann man regionale Produkte kaufen. Einfach einen Blick aufs Etikett werfen.
- Selbst anbauen.
Selbst in der Stadt kann man prima Tomaten, Radieschen oder Erdbeeren auf dem Balkon pflanzen. Das ist auch gut für die Bienen und die Artenvielfalt.
- Genuss statt Fließband.
Lieber einmal die Woche ein gutes Stück Fleisch essen, zum Beispiel ein Schnitzel oder ein Rinder-Steak. Und lieber nicht täglich den Wurst-Aufschnitt vom Discounter auf das Brot legen.
Kurz vor Sonnenuntergang ist auch die letzte seiner 47 Kühe versorgt. Jetzt geht es zum Abendessen mit der Familie. Auf dem Holztisch in der Wohnküche fährt zwischen dem Wurstsalat und dem Holzbrett mit Käse ein Mini-Traktor. Die kleine Tochter Mona sitzt am Tisch und spielt. Sie lädt die kleine Kuh in den Spielzeug-Anhänger und fährt mit dem Traktor weiter. Molkerei- und Fleischprodukte kaufe die Familie nicht mehr im Supermarkt, sagt seine Frau Tanja, während sie mit der linken Hand den Maxi-Cosi mit Silas schaukelt und mit der rechten Hand Mona streichelt. Seit der Umstellung produziert Heiligensetzer auch Fleisch.
Insgesamt rund 50 Kälber wirft seine Herde jedes Jahr ab. Nur zehn davon zieht er auf. Er will, dass die Herde überschaubar bleibt. Expansion ist nicht sein Ziel. “Ich will die Kühe noch beim Namen kennen”, sagt er. Deshalb lässt es ihn auch nie kalt, wenn er eine Kuh zum Schlachter gibt. “Bis zur letzten Sekunde nehme ich die Kälber am Halfter”, sagt Heiligensetzer. Das sei schade, aber gehöre bei der Viehhaltung eben dazu. “Davon leben wir.”